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In einer Ära, die maßgeblich von den Fortschritten der künstlichen Intelligenz geprägt ist, bleibt die menschliche Berührung in der Fotografie unverzichtbar. In einer Welt, in der Algorithmen und Automatisierung eine zunehmend große Rolle spielen, stellt sich die Frage: Warum sollten wir auf den menschlichen Fotografen nicht verzichten? Diese Frage ist von entscheidender Bedeutung für Unternehmen, Designagenturen und kreative Teams, die kontinuierlich nach dem perfekten visuellen Ausdruck suchen. In diesem Interview erkunden wir die einzigartige Qualität, die die menschliche Fotografie auszeichnet, und warum sie in einer Zeit der technologischen Innovation und Digitalisierung weiterhin unübertroffen bleibt.

 

I N T E R V I E W
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GH design: Hey Nils, könntest du uns zunächst ein wenig über dich erzählen?

Nils Hendrik Müller: Huch (lacht), wo soll man da anfangen? Ich bin, auch wenn ich das selbst kaum glauben kann, seit mehr als 30 Jahren als Fotograf selbstständig. Seit meinem Start mit 16 hat sich viel verändert. Ich habe den Wechsel von Analog auf Digital mitgemacht, habe das „Aussterben“ des Berufsbildes des Lokalzeitungsfotografen miterlebt, die Panik vor dem Erstarken des Stockmarktes mit Beginn der Digitalfotografie, die Krise bei den Printmedien durch die Folge zunehmender Internetangebote, die Wirtschaftskrise 2008, die Veränderung des Marktes seit der Demokratisierung der Fotografie mit immer besser werdenden fotografischen Systemen.

Mit der Veränderung des Printmarktes und der Kundenmagazine hat es mich mit ein paar Zufällen in die Corporate Fotografie verschlagen. Dadurch habe ich in den vergangenen 15 Jahren Einblicke in alle Hierarchie- und Arbeitsebenen unterschiedlichster Unternehmen bekommen. Durch die oft sehr persönlichen Kontakte und Gespräche mit Menschen von Produktion bis Vorstandsebene habe ich die einmalige Möglichkeit bekommen, mir ein ganz eigenes Bild der deutschen Unternehmenslandschaft zu machen. Ich liebe das Gefühl, wenn der Nebensatz eines Vorstandes oder die Schilderung eines Mitarbeiters plötzlich wieder eine Wissenslücke schließt, wieder ein Puzzleteil zum großen Ganzen beiträgt. Ich liebe es, wenn man bereits beim Betreten einer Firma fast riecht, wie die Unternehmenskultur, die Atmosphäre, das Grundgefühl ist. Nebenbei mache ich dann noch ein paar Bilder und werde für meine Leidenschaft bezahlt. Absolut perfekt. Ich liebe diesen Beruf. Etwas Besseres hätte mir nicht passieren können.

 

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GH design: Nutzt du die künstliche Intelligenz in deinem fotografischen Alltag und wenn ja, wie hat sich dies im Laufe der Zeit entwickelt?

Nils Hendrik Müller: Künstliche Intelligenz ist im fotografischen Alltag gar nicht so neu. Ich würde sogar sagen, dass sie über einen größeren Zeitraum unbemerkt zur bereits genannten Demokratisierung der Fotografie beigetragen hat. Früher hatten wenige Fotografen mit großem technischen Wissen die Auftragshoheit, heute ist der Zugang zur Technik durch „intelligente“ Belichtungsprogramme und „mitdenkende“ Autofokussysteme“ ergänzt durch starke KI-Unterstützung in den Bildbearbeitungsprogrammen deutlich einfacher. Einerseits bekommen dadurch viel mehr Menschen einen Zugang zur Fotografie und versuchen in den Markt zu kommen, andererseits spielt eine eigene unverwechselbare Bildsprache dadurch eine noch größere Rolle.

 

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GH design: Wie beurteilst du die Genauigkeit und Zuverlässigkeit von KI-gestützten Funktionen im Vergleich zu menschlicher Expertise in der Fotografie?

Nils Hendrik Müller: Keine Frage, der Output der gängigen KI-Programme ist für Fachleute, aber besonders auch für Laien zum Teil verblüffend. Man kann sich großartige Bilder zusammenrechnen lassen, aber es gibt auch Grenzen. Natürlich gibt es beeindruckende Ergebnisse, die Frage ist aber, was war die exakte Zielsetzung zu Beginn? Haben wir zufällig ein tolles Bild erzeugt, oder haben wir ein Bild, was so aussieht, wie das anfängliche Konzept, das was wir uns wirklich vorgestellt haben? Und wieviel Zeit und Aufwand benötigen wir, wenn es nicht ein einzelnes Bild, sondern eine komplette Bildstrecke sein soll? Im Hinblick auf Postproduktion ist die verbaute KI in vielen Bereichen gerade im Bereich nerviger Kleinarbeit eine echte Hilfe und verbessert sich ständig. Trotzdem muss fast durchgehend kontrolliert und nachgebessert werden, damit die KI nicht unnötig über das Ziel hinausschießt oder das eigentliche Ziel verloren geht. Es ist eine Arbeitsunterstützung, aber an dieser Stelle nach wie vor ein Algorhythmus. Intelligenz trifft es da im Rahmen der Begrifflichkeit oft noch nicht ganz.

 

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GH design: Inwiefern siehst du den kreativen Prozess in der traditionellen Fotografie im Vergleich zur automatisierten Natur von KI-generierten Motiven als überlegen an?

Nils Hendrik Müller: Ich glaube, dass man den Begriff der Fotografie zuerst einmal aufschlüsseln muss. Selbst in der kommerziellen Fotografie gibt es sehr viele unterschiedliche Genres, die ganz unterschiedlich funktionieren. In der Automobilfotografie wird bereits seit über 20 Jahren CGI benutzt, im Bereich von Fashion, Food und Advertising verbringen die FotografInnen bisher ebenfalls zum Teil mehr Zeit in der Bildbearbeitung als hinter der Kamera. Sind das dann FotografInnen oder BildgestalterInnen? Kurz: es gibt einige Bereiche, die zum Teil seit Jahrzehnten so künstlich aussehen, dass der Endkonsument wahrscheinlich gar keinen großen Unterschied merkt. Spannend sind die Bereiche, in denen es um echte Menschen, echte Orte, echte Unternehmen und ihr Glaubwürdigkeit geht. Ich glaube, dass diese Glaubwürdigkeit ein zentraler Punkt ist und sein wird.

 

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GH design: Glaubst du, dass traditionelle Fotografie eine tiefere emotionale Verbindung zum Betrachter herstellen kann als KI-generierte Motive? Warum oder warum nicht?

Nils Hendrik Müller: Keine Frage, man kann auch mit KI-Bilder erzeugen, die sehr berühren. Ein Science Fiction- oder ein Zeichentrickfilm können auch Emotionen erzeugen. Wenn alle Emotionen echt sind, welche sind dann tiefer? Natürlich kann ein Avatar eine Schulung sprechen, ein KI-Bild für ein Unternehmen werben… aber erfüllt das in allen Fällen den Zweck? Es geht um Vertrauen. Vertrauen zwischen Geschäftspartnern, Privatmenschen, Mitarbeitern. Ob das Kleid bei Zalando von einem echten Menschen vorgestellt wird… nun ja, wird es ja glaube ich eh nicht mehr. Das Auto im Konfigurator auf der VW Seite ist auch seit Ewigkeiten nicht mehr echt… etwas anderes ist es bei den Menschen, die ein Unternehmen oder eine Geschichte ausmachen. Was wäre wenn ein Portrait in einem Nachhaltigkeitsbericht unter Verdacht stände, es sei generiert? Was wäre wenn die HR-Kommunikation Arbeitsplätze und Orte zeigt, die es gar nicht gibt? Was ist, wenn ich als Unternehmen das Vertrauen meines gesamten Umfeldes aufs Spiel setze? Es ist nicht die traditionelle Fotografie die eine emotionale und echte Verbindung herstellt. Es ist die echte Begegnung und ein Fotograf, der es schafft sie zu transportieren. Das Vertrauen der Mitarbeiter verdienen, umsetzen und dann das Vertrauen von Kunden und Unternehmensumfeld halten und/oder ausbauen. Wenn eine KI ein Auto lenken kann, ist das dann das Ende des Rennsports?

 

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GH design: Wie glaubst du, wird sich die Rolle von KI in der Fotografie in Zukunft entwickeln, und welche Auswirkungen wird dies auf die Branche insgesamt haben?

Nils Hendrik Müller: Ich denke die Branche wird sich radikal verändern. Es wird Teilgenres geben, die vollkommen verschwinden. Katalogfotografie, Webshops werden oder sind bereits transformiert. Automobil, Fashion, Werbung, Food… in diesen Bereichen wird sich sehr viel tun. Alle Welten die bereits unter Verdacht stehen, künstliche Welten zu zeigen sind aus meiner Sicht mindestens teilgefährdet. Ich denke es wird auch zum Ende des Stock-Marktes kommen. Wer braucht Stock, wenn es auch anders geht? Es wird aber aus meiner Sicht auch Bereiche geben, die weiter existieren. Corporate, Journalismus… echte Menschen, echte Räume, echte Geschichten. Die Fotografie wird nicht aussterben, so wie Malerei auch nicht ausgestorben ist. Die Frage ist nur, ob die freigesetzten Fotografen das Genre oder gleich den ganzen Berufszweig wechseln. Das wird sehr spannend für den Markt und jeden einzelnen Fotografen.

 

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GH design: Eine Vision – Wo steht für dich die herkömmliche Fotografie in 10 Jahren?

Nils Hendrik Müller: Das wiederholt ein wenig die vorangegangene Frage. Es wird Genres geben, bei denen das Ganze brutal einschlagen wird, andere werden weiter existieren. Generell kann ich es überhaupt nicht abschätzen. Spannend ist die Frage, wie die Gesellschaft mittelfristig auf die KI-Bildwelten reagiert. Viele sind gerade im Rausch, einige sind bereits vollkommen genervt. Ich habe keine Ahnung. Ich denke das ist ein wenig wie mit dem Smartphone oder SocialMedia in den vergangenen Jahren. Es ist in der Welt und entwickelt eine nicht vorhersehbare Eigendynamik. Gleichzeitig gibt es Initiativen, die spannende Konzepte entwickeln, um echte Bilder kennzeichnen zu können. Da sind wir dann aber wieder bei den Bildentwicklern… ist ein Bild echt, wenn es zwar fotografiert, aber aus 5 Bildern zusammengesetzt und drei Tage bearbeitet worden ist? Ist das dann überhaupt noch ein Fotograf oder ein Gestalter?

 

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GH design: Kannst du Beispiele aus deiner eigenen Erfahrung teilen, die zeigen, warum ein menschlicher Fotograf für bestimmte Projekte oder Anforderungen besser geeignet sein könnte als KI?

Nils Hendrik Müller: Ja, es gibt aus meiner Wahrnehmung seit etwa einem Jahr eine unternehmesseitige Gegenbewegung. Briefings und Anforderungen an Portraits, Bildgestaltung und Licht legen expliziten Wert auf eine glaubwürdige Ausstrahlung. Viele Kunden wollen nicht den Hauch eines Verdachts aufkommen lassen, die Bilder, Räume oder sogar Personen könnten nicht echt sein. Bildbearbeitung und sogar der Einsatz von künstlichem Licht werden hier kritisch gesehen. Vertrauen gegenüber den Zielgruppen, Kunden und Partnern steht an oberster Stelle. Das zieht sich von kleinen Firmen über Mittelständler bis zu Banken und Dax-Unternehmen. Mir hat dieser Trend bisher maximal in die Hände gespielt. Aber eine Prognose oder eine zeitliche Vorhersage für die gesamte Branche kann und möchte ich nicht angeben.

 

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GH design: Hast du Bedenken hinsichtlich der Ethik oder des Datenschutzes im Zusammenhang mit dem Einsatz von KI in der Fotografie?

Nils Hendrik Müller: Definitiv. Die Rechtslage ist bisher in Europe noch vollkommen ungeklärt. Wem gehören die Bilder? Hat man überhaupt ein exklusives Recht an Ihnen? Gleichzeitig ist vollkommen undurchsichtig, wie die klassischen Programme arbeiten. Fakt ist, dass sie sich auf recht unlauterem Weg Zugang zu bestehendem und zum Teil urheberrechtlich geschütztem Material verschafft haben. Gleichzeitig müssen Unternehmen aufpassen, wenn sie Bestandsbilder als Referenzbilder in die Programme einspeisen. Wessen Rechte werden dadurch verletzt? Die des Models? Die des Mitarbeiters? Das Urheberrecht des Fotografen? Das Unternehmen hat vielleicht alle Rechte an den Bildern zur eigenen Aussendarstellung, aber ist der Upload bereits eine Weitergabe an Dritte? An die KI-Firma, die den Input quasi kommerziell nutzt? Gilt das dann als Veränderung des Bildes im Rahmen einer Bearbeitung? Ist es ein Bildklau zum weiteren Training der KI einer Firma, die keine Rechte an dem Bild hat? Wo stehen die Server? Was dürfen Midjourney, Firefly und Co. mit den eingespeisten Bildern anfangen? Gehen die dann quasi in den Algorhythmus über? Alles ungeklärte Fragen. Kann/darf man das einem Kunden so schon anbieten?

 

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GH design: Inwiefern glaubst du, dass die Fähigkeiten und die kreative Vision eines menschlichen Fotografen unersetzlich sind, selbst in einer Ära, in der KI-basierte Tools verfügbar sind?

Nils Hendrik Müller: Nichts ist unersetzlich. Zumindest sollte man sich mit dem Gedanken erstmal beschäftigen, wenn man sich mit einem derart komplexen Sachverhalt auseinandersetzt. Ganz so plakativ ist es natürlich auch nicht. Ich habe immer wieder Momente, in denen bei guten Shootings Dinge, Körperhaltungen, Mimiken passieren, mit denen selbst die Protagonisten nicht gerechnet haben. Das Ergebnis sind Bilder, die anders sind. Die die Menschen persönlich zeigen, aber die ganz engen Bahnen verlassen, die nicht generativ glattgeleckt sind. Ob das dann die kreative Vision ist? Nun ja. Wie gesagt. Es gibt ganz unterschiedliche Genres, mit ganz unterschiedlichen Anforderungen. Eine Getränkewerbung zu prompten ist vielleicht nicht leicht, aber eine Employer Branding Kampagne mit echten Mitarbeitern in den real existierenden Räumen eines Unternehmens über die KI zu lösen… nun ja.

 

Fazit:

Nils Hendrik Müller: Es ist wahnsinnig viel in Bewegung. Die Branche wird sich massiv verändern. Ich gehe derzeit davon aus, dass unterschiedliche Genres der Fotografie, ganz unterschiedlich hart getroffen werden. Spannend ist mittelfristig die Frage, wie sich die Unternehmen aufstellen und wahrgenommen werden wollen. Diskussionen über zweifelhafte Schönheitsideale gab es schon zur Genüge, über zu starke Bildbearbeitung und zu künstliche Kampagnen auch. Welche Rolle spielten die Werte von Vertrauen und Echtheit? Ich kann mir vorstellen, dass sich hier unterschiedliche Strömungen ausbilden. Ich gehe davon aus, dass sich die bestehenden Unterschiede zwischen B2B- und B2C-Kommunikation noch einmal deutlicher ausprägen. Gleichzeitig glaube ich, dass unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen, unterschiedlich auf den Einsatz von KI reagieren. Viva con Aqua und Coca Cola sind beides Getränkemarken. Die Philosophie der Unternehmen und die Wertesysteme der jeweiligen Zielgruppe ist aber vollkommen unterschiedlich.

 

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Vielen Dank für das spannende Interview, Nils!
Wir freuen uns auf die weitere Zusammenarbeit mit dir!

Hier kommt ihr auf seine Webseite:
www.nilshendrikmueller.de

 

Bilder: © Nils Hendrik Müller